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Über Sammlung und Offenheit

Ram Tirtha • Apr. 19, 2020
Foto: Avalokiteśvara, buddhistische Felsenhöhlen bei Ajanta, Maharashtra

Neben der Entspannung haben uns die Meister weitere wichtige Zutaten oder Merkmale beim Üben meditativer Techniken gelehrt. Deshalb hier ein paar Zeilen zur Sammlung und zur Offenheit.

Was bedeutet Sammlung?

Sammlung wird mit verschiedenen Begriffen umschrieben, man spricht von Fokussierung, Versenkung oder auch Konzentration. Letzter Begriff ist etwas problematisch, da er mit Anstrengung und Anspannung konnotiert ist. Dies steht im Widerspruch zur Entspannung und wäre deshalb kontraproduktiv. Um Missverständnisse zu vermeiden sprechen wir deshalb nicht von Konzentration. Mit Hilfe der Sammlung soll unser zerstreuter und verwirrter Geist gesammelt und beruhigt werden. Hierzu benutzen wir einen "Anker", auf den wir unsere Aufmerksamkeit richten und zu dem wir mit unserer Aufmerksamkeit immer wieder zurückkehren, wenn wir davon abkommen. Dieser Anker kann ein Objekt unserer Sinne sein: etwa das Hören eines Gongs, das Spüren des Körpers oder das Sehen eines visuellen Objektes. Dieser Anker bzw. Fixpunkt kann auch ein Geisteszustand der Achtsamkeit, Aufmerksamkeit bzw. des Gewahrseins sein. 

Egal mit welcher Art von Anker wir arbeiten: es geht immer darum, zu diesem zurückzukehren, sobald wir merken, dass unser Üben vom Thema abschweift. Insofern ist der Prozess des Übens von meditativen Techniken ein dynamischer Vorgang - im Gegensatz zu den stabilen meditativen Zuständen (Skrt. Dhyana), die wir dabei erfahren können. Über die Zustände selbst können wir wenig sagen oder schreiben; diese liegen jenseits unserer Kategorien der Anschauung und damit jenseits unserer verbalen Begriffe. Was wir sagen können ist einerseits, wie wir die Zustände kultivieren können, und andererseits, was sie bewirken.

Hat man längere Zeit Meditation praktiziert, kann eine fortgeschrittene Fähigkeit zur Sammlung hinzukommen: der Adept kann sich dann willentlich in einen Versenkungszustand begeben. Dies ist in der Regel erst nach Jahren intensiver Meditationspraxis möglich. Deswegen sind Geduld und Ausdauer unerlässlich. 

Was bedeutet Offenheit?

Egal ob Meditation neu für uns ist oder ob wir schon länger meditieren, wir müssen immer offen für das Unbekannte und Neue sein - nur dadurch ist Transformation möglich. Genau das stellt aber eine sehr große Herausforderung für uns dar. Zum einen erfordert es Mut, sich auf das Ungewisse einzulassen. Lehrer und Traditionen können hier helfen, so dass wir die Angst vor dem Ungewissen verlieren. Aus Angst ziehen wir häufig, ganz so wie im Leben, die Sicherheit der Freiheit vor; im Leben zahlen wir dafür meist einen hohen Preis. 

Zum anderen müssen wir uns von dem lösen, was Offenheit behindert: unsere gewohnheitsmäßigen Vorlieben und Abneigungen. Diese Gewohnheiten sind so tief in unserer Psyche verankert, dass wir uns nur sehr schwer von ihnen lösen können. Die Gewohnheiten sind es auch, die unserem Leben aus weltlicher Sicht Bedeutung und Identität geben. Sich von ihnen zu lösen ist deshalb in der Regel ein schmerzhafter Prozess. Wer verabschiedet sich ohne Not gerne von lieb gewonnenen Irrtümern?

Offenheit ist auch damit verbunden, dass man erkennt, dass der spirituelle Wege nie abgeschlossen ist. Der spirituelle Weg kennt zwar Durststrecken aber keine Langeweile. Freilich kann man das aus weltlicher Sicht schwer erkennen, es fehlen Ablenkungen und Zerstreuungen.

Sammlung und Offenheit im Alltag

Genauso wie Entspannung nicht nur beim Üben meditativer Techniken sondern auch im Alltag eine große Rolle spielen sollte, so trifft dies auch für die anderen Merkmale zu. Formales Üben findet im geschützten Raum statt, was es uns leichter macht, die Fähigkeiten bzw. Merkmale zu kultivieren. Wie weit dies gelungen ist, zeigt sich dann dadurch, ob wir zu einer meditativen Lebensführung finden. 

Sammlung im Alltag bedeutet nicht, sich zurückzuziehen, sondern ganz auf das bezogen zu sein, was gerade geschieht. Dies kann eine Tätigkeit sein oder eine Begegnung mit einem andern Menschen. Dies drückt sich sehr schön in der Frage aus, wer der wichtigste Mensch im unserem Leben ist? Die Meister haben uns gelehrt, dass es immer der Mensch ist, der gerade vor uns steht. 

Offenheit bedeutet nicht Beliebigkeit, sondern nach außen hin anpassungsfähig und flexibel zu sein. D.h. wir beharren nicht auf die eigenen Vorstellungen und geben diesen nicht die alleinige Bedeutung, sondern nehmen eine Haltung ein, die in dem, was geschieht, womit wir konfrontiert werden, etwas sieht, das uns etwas sagen will. Meistens verhalten wir uns nämlich genau entgegengesetzt: nach außen unnachgiebig und festgelegt, uns selbst gegenüber nachlässig. Chögyam Trungpa brachte das auf seine Art etwas überspitzt so auf den Punkt: "In jeder Situation haben Sie die Wahl entweder offen oder eine Nervensäge zu sein."

Zum Abschluss

Entspannung, Sammlung und Offenheit können nicht erzwungen werden und sind nicht wasserdicht voneinander zu trennen. An manchen Tagen oder auch in manchen Lebensphasen werden uns die Dinge einfacher gelingen, dann wieder weniger. Deshalb sollten wir noch einem vierten Merkmal Beachtung schenken. Dies ist eine Haltung, die so schön mit den Worten "sich selbst ein Freund sein" umschrieben wird, die Anwendung der Gewaltlosigkeit (Skrt. Ahimsa) auf die spirituelle Praxis - ein gutes Maß an Toleranz und Nachsicht sich selbst und auch anderen gegenüber.


Autor: Ram Tirtha, www.tirtha-yoga.de/de

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