Sunyata Meditation Sangha Stuttgart


Blog Post

Bei Sunyata legt man viel Wert auf die Praxis der Entspannung. Warum?

Ram Tirtha • Dez. 23, 2019
Gründe der Anspannung

Wenn wir genau hinschauen, liegt der Anspannung, mit der die Meisten von uns durchs Leben gehen, eine innere Haltung des Widerstandes zu Grunde. Wir hätten gerne, dass unsere Welt und unser Leben anders wären als sie in der Realität sind. Grund dafür sind Gefühle, Gedanken und Emotionen des Ungenügens. Dieses Ungenügen wiederum hängt eng mit unseren Wünschen und Hoffnungen zusammen. Meistens erkennen wir nicht, dass es sich dabei häufig nicht einmal um unsere echten Bedürfnisse handelt, sondern um Normen, die wir vom Umfeld und von äußeren Einflüssen übernommen haben. Die fast lückenlose Ökonomisierung unserer Welt durch Materialismus, Wettbewerb und Werbung haben unsere Erziehung, Gesellschaft, Beziehungen und damit uns und unser Leben stark geprägt. Hinzu kommt, dass wir die Balance zwischen Aktivität und Passivität verloren haben. In unserer Kultur gilt es als lobenswert etwas erreichen zu wollen und aktiv, ehrgeizig, eifrig und fleißig zu sein. Dies hat stark zu der Entwicklung von Wissenschaft und Technik beigetragen, von der wir heute vielfältig profitieren. Darüber haben wir allerdings vergessen, den passiven Teil des Lebens zu kultivieren und zu schätzen. Passivität meint hier nicht beliebige Einflüsse unreflektiert in sich aufzunehmen - was gefährlich wäre - sondern das bewusste Spüren des Lebens bzw. des Daseins.

Folgen der Anspannung

Mit einem andauernden Konflikt zwischen dem was ist und dem was sein sollte ist weder ein harmonischer Alltag noch Meditation möglich. Dieser zunächst mentale Konflikt spiegelt sich sowohl im Emotionalen als auch im Körperlichen. Dies führt dann zu körperlichen Verspannungen und auf Dauer zu physischen Krankheiten. Zwar ist das Bestreben häufig ein positives, der Zweck soll die Mittel heiligen. Allerdings ist das auch hier ein vergebliches Bemühen. Anspannung ist weiter ein wesentliches Hindernis in der Meditation: Während der Praxis werden Ablenkungen von außen als Störung empfunden und die Gedanken können nicht zur Ruhe kommen. Das Jetzt und die Situation können nicht so angenommen werden, wie sie sind.

Kultivierung der Entspannung

In der Praxis der Entspannung macht man sich die enge Verknüpfung von Geist, Emotionen und Körper zu Nutze: Wenn wir die körperliche Entspannung regelmäßig praktizieren, so wirkt sich dies ebenso positiv auf die emotionale sowie mentale Ebene aus. Körperliche Entspannung kann geschehen, wenn wir unseren Körper zur Ruhe kommen zu lassen und ihn dabei bewusst spüren. Dabei richten wir unsere Aufmerksamkeit besonders auf Bereiche, die am stärksten von Verspannungen betroffen sind: Füße, Hände, Hüfte, Schulter / Nacken, Kiefer und Zunge, Stirn und Gesicht. Übt man dies regelmäßig kann einerseits der Körper Kraft tanken, andererseits wird der Geist nicht nur ruhiger sondern kann auch offener und klarer werden; er dreht sich dann auch nicht mehr ausschließlich um die eigenen Wünsche und Ansichten. Bei Sunyata wird dies konkret dadurch geübt, dass zu Beginn des Sitzens der Fokus zunächst auf die Entspannung gelegt wird. Weiter kultiviert man durch meditative bzw. mentale Techniken einen Zustand ohne Gedanken, der eng mit dem parasympathischen Nervensystem in Verbindung steht; dieser Teil des Nervensystems ist zuständig für das passive bzw. autonome Geschehen. Dies ist nicht nur im Sitzen, sondern auch im Stehen, Liegen oder Gehen möglich.

Meditation und Alltag

Entspannung bzw. Loslassen ist eine der wichtigsten Zutaten zur Meditation. Manche Meister haben sogar betont, dass es sich dabei um das wichtigste Merkmal einer erfolgreichen Meditation handelt. Ohne dieses Merkmal ist es nicht möglich in einen stabilen gedankenlosen Zustand zu kommen. Man wird dann immer wieder durch Gedanken abgelenkt, was wertvolle Effekte der Meditation verhindert. Die Anspannung kann subtile Formen annehmen: Allein der Wunsch, mit meditativen Techniken etwas erreichen zu wollen erzeugt eine Spannung bzw. einen Widerspruch zwischen dem was ist und dem was sein soll. Dies ist ein Paradox der Meditation: Wir wissen, dass die Praxis gut und notwendig ist, um etwas zu erreichen. Wir wissen auch, dass die Fixierung auf Ziele kontraproduktiv ist. Wie wir mit diesem Paradox umgehen entscheidet darüber, welche Früchte wir aus der Meditation ernten können.

Generell kann man sagen, dass es bei den Mechanismen im Alltag und in der Meditation Ähnlichkeiten gibt. Dies betrifft auch die Entspannung. Man wird feststellen, dass man im Alltag viel mehr Energie hat und wesentlich widerstandsfähiger gegen Störungen ist, wenn man gelassen ist. Das hat auch nichts mit Gleichgültigkeit zu tun; es ist eher so, dass sich Dinge viel leichter zum Besseren wenden, wenn wir sie so akzeptieren, wie sie gerade nun mal sind - ein weiteres Paradoxon. Wenn Energie fließt, dann ist unsere Aktivität auch eine andere, nämlich eine ohne Anspannung. Dann können wir intuitiv erkennen, wann es Zeit für Passivität und Aktivität ist und können Passivität und Aktivität nicht nur ausgleichen sondern sogar verbinden.

Autor: Ram Tirtha, www.tirtha-yoga.de/de


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